0

Das Nest der Nachtigall

Kriminalroman, Piper Taschenbuch 30397

Erschienen am 15.10.2013
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783492303972
Sprache: Deutsch
Umfang: 240 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 19.1 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Marco Malvaldi, geboren 1974 in Pisa, arbeitete bis vor Kurzem als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Chemie der dortigen Universität. Mit seinen Krimis um die vier alten Männer und den sympathischen Barbesitzer Massimo avancierte er zum Bestsellerautor. Daneben veröffentlichte er mehrere davon unabhängige Krimikomödien. Marco Malvaldi lebt als freier Autor mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Kindern in seiner Geburtsstadt.

Leseprobe

Für Maurizio, der mit dem Schicksal gespielt und ihm zehn Punkte Vorsprung gelassen hat; und der es, ohne jemals sein Lächeln zu verlieren, in die Verlängerung zwang.   Schluss mit dem Zeitvertreib, kommen wir zum kulturellen Teil.   GIUSEPPE BERTOLUCCI, Berlinguer ti voglio bene (Berlinguer, ich liebe dich)       Anfang   Welchen Anblick der Hügel von San Carlo dem Betrachter bietet, hängt in erster Linie von der Tageszeit ab. Morgens geht die Sonne auf der anderen Seite des Hügels auf, und da das Schloss ein Stück unterhalb des Kamms erbaut ist, fallen keine direkten Strahlen durch die Fenster der Gemächer, in denen der siebte Baron von Roccapendente, seine Verwandtschaft und seine (meist zahlreichen) Gäste ruhen, die somit ungestört ausschlafen können. Am frühen Nachmittag brennen die Sonnenstrahlen erbarmungslos auf das Schloss, die Gärten und das umliegende Gut nieder, und wer sich im Freien aufhält ist einer mörderischen Hitze ausgesetzt, verschärft noch durch die Feuchtigkeit, die von den nahen Sümpfen aufsteigt. Um diese Stunde jedoch befinden sich der Baron und seine Familie für gewöhnlich im Inneren des Schlosses, dessen großzügige Räume mit ihren Deckengewölben eine angenehme und tröstliche Frische bieten, welche der geistigen Sammlung zuträglich ist, sei es beim Kartenspiel, bei der Lektüre oder beim Stricken von Intarsien. Draußen in der stechenden Sonne bleiben nur die Tagelöhner, der Gutsverwalter und die Stallknechte und Gärtner, aber die sind die Hitze ja gewöhnt. Die Herrschaften verlassen das Schloss im Allgemeinen erst gegen sechs Uhr abends, wenn die Erde von all den Sonnenstrahlen erschöpft ist und begonnen hat, dem Zentralgestirn den Rücken zuzukehren. Auch an diesem Abend, um Punkt sechs Uhr, haben sich der Baron und die übrigen Schlossbewohner im Garten eingefunden, um die Ankunft des zweiten der Gäste zu erwarten, die eingeladen wurden, um die wochenendliche Jagdpartie abwechslungsreicher zu gestalten. Der erste Gast, Herr Ciceri, laut seiner Visitenkarte 'Daguerreotypist-Landschaftsfotograph', ist bereits am Nachmittag eingetroffen und mit höflicher Gleichgültigkeit empfangen worden. Der zweite Besucher hingegen ist eine namhafte Persönlichkeit und genießt ein gewisses Prestige, weshalb man mit fiebrigem Interesse seiner Ankunft harrt. Vergessen wir nicht, dass die Bewohner - wiewohl ein Haufen von Drückebergern, die zeit ihres Lebens noch keine Minute lang einer ehrlichen Arbeit nachgegangen sind - an diesem Tag durch die unmenschliche Hitze dazu verdammt wurden, fast regungslos in der Frische ihrer Gemächer auszuharren, sodass ihnen jetzt noch langweiliger ist als sonst und sie sich ihre Zeit vertreiben müssen. Die Ankunft des zweiten Gastes ist daher das Highlight des Tages, und die Schlossbewohner spazieren in Zweier- und Dreiergrüppchen durch den Garten und tauschen Mutmaßungen über seine Person aus, die Ohren gespitzt, um nur ja nicht das Geräusch von Kutschenrädern und Pferdehufen zu verpassen. Tatsächlich ist über den Mann, dessen Ankunft erwartet wird, nicht viel bekannt, und die Untersuchungsteams, die jetzt über die Wiese schlendern, haben sich die offenen Fragen gerecht aufgeteilt. Sein Charakter. Seine Kleidung. Vor allem aber sein Aussehen. Wir befinden uns hier im ausgehenden 19. Jahrhundert, und einen Namen macht man sich in erster Linie durch das, was man tut und sagt, nicht durch ein äußeres Auftreten, das in den meisten Fällen keiner kennt. Das waren noch Zeiten. 'Er ist bestimmt dick.' ' Meinen Sie ? ' 'Alles andere würde mich überraschen. Haben Sie etwa jemals einen mageren Koch gesehen?' 'Das nicht. Aber unser Gast ist doch nicht von Beruf Koch, oder? Dem Vernehmen nach ist er Stoffhändler. ' 'Sieht so aus, ja. Das ist allerdings nicht sein einziges Gewerbe. Ich möchte zwar nur ungern.' Während Lapo Bonaiuti di Roccapendente noch überlegte, was er denn ungern tun würde, fing er den leeren, bangen Blick von Fräulein Barbarici auf, der Pf