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Das Fest der Steine oder Die Wunderkammer der Exzentrik

Roman

Erschienen am 08.08.2005
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552053496
Sprache: Deutsch
Umfang: 656 S.
Format (T/L/B): 4.7 x 21 x 14 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Oswald Wuthenau ist ein Schelm und Hochstapler, ein moderner Mephisto, und doch ein verzweifelt Heimatloser. Wie eine Urgewalt bricht diese "Mischung aus Orson Welles, Helmut Qualtinger und Oliver Hardy" Mitte der fünfziger Jahre über Südamerika herein, macht Bekanntschaft mit geflohenen Nazis, gerät in eine ekstatische Orgie, heiratet, errichtet das erste Atomkraftwerk Argentiniens, bekommt in der DDR die Brecht-Medaille überreicht und stellt Wien auf den Kopf. Familienepos, Schelmenroman, ein Stück österreichische Weltliteratur: Franzobels famoses Panoptikum eines aus den Fugen geratenen Jahrhunderts.

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Leseprobe

Chinesisch für Anfänger worin Oswald die Brecht-Medaille verliehen wird Wie es weitergeht? Also gut. Warum wird man fett? Begreift der Körper nicht, dass er immer noch genug bekommen hat? Warum wächst ein Bauch? Weil der Bauch die sentimentalste, melancholischste Körperstelle ist? Eine Mole, wo die Heimat anlegen kann, wenn sie angetrieben kommt. Wuthenaus Bauch war fest und aufgetrieben wie ein Schildkrötenpanzer. Wie hatte Deliah gesagt? Ist so dick, dass man nicht weiß, wo hinten und vorne, wo oben und unten ist. Aber wozu? Ist der Bauch bloß eine großkotzige Großmannssucht, der Traum der Albaner von Großalbanien, ein böhmischer Traum vom Meer? Oder ist er ein verzweifelter Versuch, sich Heimat anzuessen, der abgetrennte Teil von einem selbst? Der abgeschnittene andere, von dem Platons Gastmahl spricht. Stimmt es, dass Dicke sensibler sind, ihr Fett nur da ist, damit man ihr innerliches Zittern nicht sieht? Man nichts merkt von ihrer Angst? Ist der Körper der Ort des Verdrängten, der alles aufsaugt, das Unterbewusste auswächst, oder wie Bopi, das Mondkälbchen, gesagt hätte, die Anima aus dem Tarot? Und warum glaubt man, dass dicke Männer witzig sind? Wenigstens Oswald war in seinem Inneren ungeschützt. Was immer er zeit seines Lebens unternommen hatte, alle seine Eskapaden und Exzentrizitäten waren im Grunde nichts anderes als ein Überspielen dieser Unsicherheit, dieser Angst vor einem Bauchfleck und letztlich wohl auch der Phobie, noch einmal einer Tante Milli vor die Tür gestellt zu werden. Der Bauch war sein Panzer. Der Bauch samt practikal jokes, Zynismus und seiner Nazikruste hielt alles auf Distanz, sogar die Angst. Dabei war Angst ja meistens unbegründet, wenigstens die vor einem Flugzeugabsturz. Nichts war nämlich passiert. Die Prophezeiungen waren verpufft - sowohl die indianische als auch die madlenische. Also war Wuthenau mitsamt seinem Bauch sicher in Berlin-Schönefeld gelandet. Ostdeutschland. Die DDR war wie Argentinien, nur ohne Sonne. Gigantische Wolkenfliesen lagen am Himmel. Nur an manchen Stellen waren sie schlecht verfugt, schimmerte der blaue Himmel durch. Anstelle der argentinischen Sonne und des österreichischen Adlers prangten in der DDR Hammer und Sichel, leuchteten auf Fahnen, strahlten alles an, sogar die streng gekleideten Frauen, die infolge dieser ständigen Behämmerung und Zersichelung nichts Weiches mehr ausstrahlten; kantige, eckige Geschöpfte, wie mit Tusche konturiert. Im Grunde war die DDR eine Bananenrepublik - nur ohne Bananen. Auch der in lateinischen Ländern so wichtige Schwanz, die menschliche Banane, mit der in Südamerika Politik gemacht wurde - und zwar aus dem Bauch heraus - hier im Preußenland hatte er keine Bedeutung. Hier war alles eingelegte Nuss, verhirnt. Alles war verkopft, zerredet. Und sonst? Die gleichen Monumente wie in Argentinien, Plattenbauten, derselbe Gewerkschafts- und Kantinengeruch, die gleiche Verbissenheit in den Gesichtern. Dieselbe, nein, noch eine viel größere Angst vor seinem Nächsten, vorm Ausspioniertwerden. Schon auf dem Empfang des Kultusministers wurde Wuthenau klar, dass dieser Sozialismus niemals funktionieren konnte. Kaum Bäuche! Aber kein Wunder. Bei dieser Küche! Die Ostdeutschen waren Weltmeister im Speisenverpfuschen. Heiße Pellkartoffeln servierten sie mit kalter Sahne und lauwarmem Hering, Hasenbraten kredenzten sie zu panierten Äpfeln und Rübenmarmelade, Erbsenreis gab's mit Zwiebelsauce, zu Fisch Karottenmus mit Krautsalat. Als Dessert reichten sie Knoblauch in Honig, Rettich mit Käse und noch ein paar Geschmacksverfehlungen, die einem den Magen umdrehten. Sind Sie eigentlich mit einem Wuthenow verwandt?, wollte der neben Oswald einzig andere Beleibte, der Kultusminister, wissen. Wuthenow? Nicht dass ich wüsste. Bekommt der auch die BrechtMedaille? Das nicht, sächselte der Minister, dessen enormer Bauch zwischen die Oberschenkel hineinhing, fast die Sitzfläche seines Sessels berührte. Velimir Wuthenow ist heute an der vermeintl Leseprobe