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Globalisierte Geologie

Eine Wissensgeschichte des Eisenerzes in Brasilien (1876-1914), Globalgeschichte 30

Erschienen am 05.10.2017, 1. Auflage 2017
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593508153
Sprache: Deutsch
Umfang: 328 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.3 x 14 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs galt Brasilien als eines der eisenreichsten Länder der Erde. Damit verbunden war die Wahrnehmung des Landes als strategischer Rohstofflieferant, aber auch als Großmacht der Zukunft. Doch wie kam es zu der Assoziation von Eisenreichtum und Macht? Und wie entstand überhaupt das Wissen über Natur, auf dem derartige Vorstellungen basierten? Georg Fischer untersucht den Bedeutungswandel des Eisens im Kontext der Globalisierung von wissenschaftlichen Praktiken, Industrialisierungsvisionen, materiellen Knappheitsängsten und der wachsenden Bedeutung technischer Experten in staatlichen Institutionen und transnationalen Investorennetzwerken. Globalgeschichte: Herausgegeben von Sebastian Conrad, Andreas Eckert und Margrit Pernau

Autorenportrait

Georg Fischer, Dr. phil., ist Assistant Professor für Brasilienstudien am Institut für Globale Studien an der Universität Aarhus.

Leseprobe

1. Einleitung: Die Globalisierung des Wissens über Natur 1.1. Das brasilianische Eisenzeitalter Vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren setzte im Ozean des Archaikums ein neuer chemischer Prozess ein. Das Eisen, das durch submarine vulkani-sche Aktivität in großen Mengen im Wasser gelöst war, reagierte mit dem von Mikroalgen produzierten Sauerstoff. Es bildete Eisenoxidverbindun-gen, fällte aus und lagerte sich in gelartigen Sedimenten am Grund des Ozeans ab. Dieser Prozess dauerte fast zwei Milliarden Jahre an, Zwi-schenschichten aus Kalk, Quarz und Kieselsäuregestein bildeten sich und trugen zur gebänderten Form der entstehenden Eisenformationen bei. Dann stoppte der Prozess. Das Eisen im Ozean war ausgefällt, und immer mehr Sauerstoff konnte in die Atmosphäre entweichen. Alle Bändererze der Welt stammen aus dieser Phase des Präkambriums und wurden in den nächsten Jahrmilliarden in ihrer Form, ihrem Gehalt und ihren Beziehungen zu Nachbargesteinen durch Metamorphose, Verwitterung, Anreicherung und zahlreiche andere Prozesse verändert. Alle großen Eisenformationen Australiens, Nord- und Südamerikas, Afrikas und Eurasiens sind in demselben Zeitraum durch dieselben metallogenetischen Prozesse entstanden. So weiß man heute. Sucht man den Begriff "Bändererz" in einem aktuellen geologischen Wörterbuch, findet man einen Querverweis auf "Itabirit", ein "festes, massiges bis dünnbankiges, präkambrisches Eisenerz (ca. 68 Prozent Fe)". Der Itabirit und ähnliche Bändererztypen in anderen Weltregionen "zeich-nen sich oft durch große Mächtigkeit und weite Ausdehnung aus". Der Itabirit wurde 1822 von dem Bergingenieur Wilhelm von Eschwege nach einem Ort in der brasilianischen Provinz Minas Gerais benannt. Neben der mineralogischen Beschreibung seiner Bestandteile "Eisenglimmer, Eisenglanz, meist dichter, auch blättriger, hin und wieder magnetischer Eisenstein und wenig Quarz" findet sich in Eschweges Geognostischem Gemälde von Brasilien die kleingedruckte Anmerkung: "Aus diesem ungemein großen Vorkommen des Eisensteins, kann man mit Gewissheit folgern, daß, so lange die Welt besteht, von hier aus sie mit Eisen versorgt werden kann." So begegnet uns das brasilianische Eisenerz 3,5 Milliarden Jahre später: der Itabirit als weltweiter Repräsentant von Sedimenterzen, Ausgangsgestein massiver Hämatitlagerstätten aus chemisch nahezu purem Eisenoxid mit bis zu 70 Prozent Fe-Gehalt, die Berge von Minas Gerais als unerschöpfliche Eisenquelle für die Welt bis an deren Ende und eine proterozoische Ablagerung, die sich tief in die brasilianische Moderne des 20. Jahrhunderts eingeschrieben hat. Die Geschichte Brasiliens wird oft als Abfolge von Produktzyklen er-zählt. Zucker, Gold, Kaffee sind die Hauptzyklen, Tabak oder Kautschuk kommen als sekundäre Zyklen hinzu. Besonders markant brachte der marxistische Wirtschaftshistoriker Caio Prado Júnior diese Interpretationslinie auf den Punkt: "Wenn wir auf die Essenz unserer Entstehung blicken, sehen wir, dass wir uns in Wirklichkeit einzig zum Zwecke der Belieferung des europäischen Handels mit Zucker, Tabak und anderen Produkten konstituiert haben; später mit Gold und Diamanten; danach mit Baumwolle, gefolgt von Kaffee. Das ist alles." Eine ähnliche Interpretation findet sich in dem fast zeitgleich erschienenen Werk des österreichischen Emigranten Stefan Zweig. Er wähnte das Land in den frühen 1940er Jahren an der Schwelle eines neuen Zyklus, des Eisenzyklus: "Noch wissen wir die Lage der Städte kaum, die der nächste Umschwung, die Erzgewinnung, [.] zu plötzlichem Wachstum bringen wird." Auch wenn die Periodisierung nach Produktzyklen als zu homogenisierend und deterministisch kritisiert worden ist, hat sich Zweigs Vorahnung, was das Eisen angeht, bewahrheitet. Eisenerz ist im heutigen Brasilien ein wichtiger, aber im öffentlichen Bewusstsein wenig präsenter Rohstoff. In dem Land wurden 2012 knapp über 400 Millionen Tonnen Eisenerz gefördert. Brasilien produzierte 13 Prozent des weltweit gehand