Darwin, Haeckel und die Folgen
Monismus in Vergangenheit und Gegenwart
Lenz, Arnher E / Mueller, Volker / Wuketits, Franz M. / Mueller, Volker / Bretschneider, Jan / Jäcke
Erschienen am
20.10.2006, 1., Aufl.
Beschreibung
Anlass des Erscheinens dieses Sammelbandes ist der 100. Jahrestag der Gründung des Deutschen Monistenbundes (mittlerweile umbenannt in Freigeistige Aktion für humanistische Kultur e.V.), verbunden mit einer kritischen Würdigung seiner inhaltlichen Beiträge für eine wissenschaftlich fundierte Weltanschauung.
Anlässlich der sich am in diesem Jahr zum 100. Male jährenden Gründung des Monistenbundes wird ein Sammelband herausgegeben, dessen Beiträge sich mit der Situation um 1900, den Entwicklungen bis zum Jahre 1933 (und danach) sowie der Zeit nach 1945 bis heute auseinandersetzen. Im Vordergrund stehen dabei freigeistig-humanistische Anliegen, die Herausbildung einer monistischen Weltanschauung sowie die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Wissenschaften bis in die heutige Zeit.
Das Buch stellt die Vielschichtigkeit des Monistenbundes in den 100 Jahren anhand der agierenden Personen sowie die inhaltlichen und organisatorischen Verflechtungen mit Freidenkern und Freireligiösen dar. Die persönlichen „Monismen“ der handelnden Natur-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler erscheinen als Stärke. Sie spiegeln die durch die Aufklärung entstandene geistige Situation wider (undogmatisches Denken, gegenseitige Befruchtung von Wissenschaft und Philosophie, Pluralität auch in der freigeistigen Bewegung bzw. innerhalb der freien Weltanschauungen usw.).
Wie schon das durch Ludwig Feuerbach repräsentierte Ende (und Erbe) der klassischen deutschen Philosophie die stürmische Entwicklung der Natur-, Gesellschafts- und Geisteswissenschaften erkennen lässt, kann man konkret seit Ernst Haeckel und den anderen Monisten nachvollziehen, dass die sich wandelnde Welt, mit den dadurch entstandenen Fragen, dringend neuer Antworten bedurfte. Die Entwicklungslehre erfuhr mit Darwin und Haeckel allgemeine Geltung.
Rezension
Kaum ein anderer Naturforscher wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland so verehrt und gehasst wie Ernst Haeckel. Denn der Jenaer Zoologe war ein überzeugter Anhänger Darwins und kämpfte in Wort und Schrift für die Verbreitung einer ausschließlich naturwissenschaftlich fundierten Weltanschauung. Die internationale Vereinigung der Freidenker kürte ihn 1904 auf einem Kongress in Rom sogar zum »Gegenpapst«. Zwei Jahre später wurde auf Haeckels Initiative hin im Zoologischen Institut der Universität Jena der Deutsche Monistenbund (DMB) gegründet, zu dessen Mitgliedern so berühmte Leute gehörten wie der Schriftsteller Wilhelm Bölsche, der Architekt Henry van de Velde, der Sexualforscher Magnus Hirschfeld und der Publizist Carl von Ossietzky. Wenn auch nicht alle die gleichen politischen Anschauungen vertraten, stimmten sie zumindest darin überein, dass Natur und Geist von einem einheitlichen Weltprinzip durchdrungen sind (daher Monismus).
1910 übernahm Chemie-Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald den Vorsitz des Bundes, der sich nun besonders in der Kirchenaustrittsbewegung engagierte, aber auch eine kulturelle und sozialreformerische Tätigkeit entfaltete, die in ganz Deutschland für lebhafte Diskussionen sorgte. Von den anfänglichen Erfolgen gleichsam berauscht, verkündete Ostwald schon im Jahr 1911 den Beginn des »monistischen Jahrhunderts«, das jedoch 1933 ein jähes Ende fand: Die Nazis lösten den Deutschen Monistenbund auf. Doch bereits 1946 wurde er in den Westzonen neu gegründet und beschäftigt sich heute unter dem Namen »Freigeistige Aktion für humanistische Kultur« vornehmlich mit aktuellen Fragen: Werteunterricht in der Schule, Ethik und Genforschung, Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, um nur einige zu nennen. In einem kürzlich erschienenen Sammelband haben namhafte Wissenschaftler nun die wechselvolle Geschichte des Deutschen Monistenbundes nachgezeichnet und überdies die Frage zu beantworten versucht: Was ist Monismus überhaupt, und wie ist er historisch zu bewerten? Dem Leser werden dabei zahlreiche interessante Details geboten, die in der Literatur ansonsten kaum Erwähnung finden. Allein aus diesem Grund ist die Lektüre des Buches ein wahres Bildungserlebnis.
Festzuhalten jedoch bleibt: Vieles, was Haeckel sich vor 100 Jahren erträumt hat, ist so nicht wahrgeworden. Und dennoch: Die Tatsache, dass kaum noch jemand den Deutschen Monistenbund kennt, könnte auch ein Indiz dafür sein, schreibt der Philosoph Eckhart Pilick, dass das Anliegen des Bundes hierzulande auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Nicht zuletzt die großen Kirchen geben sich im Dialog mit den
Naturwissenschaften heute deutlich liberaler.
Martin Koch (Neues Deutschland)
Inhalt
Vorwort
I. Philosophie, Naturwissenschaft
und monistische Weltanschauung
Franz Wuketits 11
„Mein lieber Haeckel!“.
Ernst Haeckel, Charles Darwin und der Darwinismus
Volker Mueller 33
Philosophischer Monismus und Naturwissenschaften –
Zu Entwicklungen monistischer Weltanschauung
in Deutschland
Jan Bretschneider 47
Der Monismus und die Welträtsel
Peter Jäckel 75
Ernst Haeckels „Die Welträthsel“
Ein Brenn- und Höhepunkt der freigeistigen Bewegung
im Deutschland des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts
und der Wende zum 20. Jahrhundert
Rudolf Bährmann 93
Haeckels Ökologie-Begriff – Inhalt, Deutung, Bedeutung
Eckhart Pilick 127
Zwischen Theorie und Glauben – Disparate Tendenzen
im Monismus
II. Monismus, Geistesfreiheit und Humanismus
Heiko Weber / Olaf Breidbach 157
Der Deutsche Monistenbund 1906 bis 1933
Hermann Detering 207
„Et hic dii sunt – Auch dieser Ort ist ein heiliges Land!“
Ernst Haeckel und Albert Kalthoff – Eine Wahlverwandschaft?
Bernhard Ahlbrecht 237
Die monistischen Sonntagspredigten von Wilhelm Ostwald
Erik Lehnert 247
„Tiefes Gemüt, klarer Verstand und tapfere Kulturarbeit“ –
Bruno Wille und der Friedrichshagener Dichterkreis
als Ausgangspunkt monistischer Kulturpolitik im Kaiserreich
Lars Jentsch 275
Evolution der Religion? Der Deutsche Monistenbund
zwischen Kulturkampforganisation und Religionsgesellschaft
am Vorabend des Ersten Weltkrieges
Anke Reuther / Wolfgang Heyn 297
„Hochverehrter Herr Professor!“
Zu den Briefen Ida Altmanns an Ernst Haeckel
Manja Stegemann 321
Der erste Internationale Monisten-Kongress
Arnher E. Lenz / Ortrun E. Lenz 335
Der Deutsche Monistenbund nach 1945